Wanderausstellung

Flüchtlinge und Boote von der Bildhauerin Eva Ehrismann

Skulpturen sind nicht in erster Linie Schmuck, sondern sie gestalten einen Raum und ermöglichen eine Identifikation. Eva Ehrismann hat bereits mit mehreren Arbeiten im öffentlichen Raum einen Beitrag zur Gestaltung eines Ortes geleistet. Die Künstlerin ist an der Elbemündung aufgewachsene und lebt bereits seit vielen Jahren in der Schweiz. Sie arbeitet nach einer kunstgrafischen und plastischen Ausbildung als freie Bildhauerin 25 Jahre im Schloss Teufen (ZH) und seit 2016 im Atelier am Bach in Rorbas (ZH).

Wasser und die Schiffe sind Motive seit Ehrismanns Kindheit. Sie beschäftigt sich auch seit mehreren Jahren mit dem Thema der Flüchtlinge auf Booten. Das Bildmotiv «Flüchtlinge» hat in der bildenden Kunst eine lange ikonografische Tradition. Es reicht zurück in die frühen Darstellungen der Flucht der Heiligen Familie nach Ägypten. In dieser Bildtradition werden die Menschen und der beladene Esel mit Gepäckstücken gezeigt. Das Motiv ist vielfältig bis weit ins säkulare 20. Jahrhundert weiterentwickelt worden. Ehrismanns Flüchtlinge sind aber nicht mit Gepäck unterwegs, sondern stehen meist nackt auf Booten. Auch dieses Motiv fusst ikonographisch auf einer alten Bildtradition: Es ist die Darstellung der mythologischen Überfahrt der Seelen auf dem Acheron – Fluss. Das Thema ist seit der Renaissance bekannt, wird aber vor allem im 19. Jahrhundert verbreitet und beliebt. Indem die Figuren auf dem Boot stehen, wird das vorübergehende Moment, der provisorische Zustand der Reise unterstrichen. Auch wenn Ehrismanns Flüchtlinge nicht eigentliche Seelenwanderer in die Unterwelt sind, erheben sie einen ähnlichen Anspruch in ihrer fragilen Existenz zwischen den beiden Welten: der verlassenen Heimat und dem Ungewissen.

Es geht Ehrismann dabei nicht in erster Linie um die realistische Darstellung prekärer Situation von Bootflüchtlingen, wie wir sie von den konkreten und grossen Dramen dieser Welt aus den Medien kennen, sondern viel mehr um das individuell erlebte Schicksal des Einzelnen.

Die dargestellten Figurengruppen begegnen uns auf Augenhöhe. Manchmal sind es nur die Köpfe, manchmal Paare oder Menschengruppen, die sich in einer Art Schwebezustand zwischen Distanz und Suche nach Nähe zu den Betrachtern befinden. Die meditative Stille vieler Gesichter ist ein bewusst gewähltes Gestaltungsmittel. Dadurch werden die Betrachter einerseits in die Ruhe versenkt, andererseits soll gerade durch die Anonymisierung Empathie durch die Formen und nicht durch die Mimik der Figuren entstehen. Die Emotionen entstehen somit durch die Betrachtung.

Die klare Formensprache, die sich immer auch in ihre geometrischen Grundformen reduzieren lässt, prägt das plastische Werk Ehrismanns. Das Interesse an den Grundformen Kugel – Bogen – Kreis – sind nicht nur an den Figuren und ihren Posen sondern auch in den Figurengruppen abzulesen. Ehrismann steht formal in der Tradition der expressiven Bildhauer wie Wilhelm Lehmbruck (1881–1919) und den früheren plastischen Arbeiten Alexander Archipenkos (1887–1964) oder Ernst Barlachs (1870–1938). Durch die formale Strenge in den geometrischen Grundformen, sowie die häufige Symmetrie und die Diagonalen entsteht eine Ruhe und Gefasstheit. Die Figuren sind auf sich selbst reduziert. Die Nacktheit macht die schwierige Lebenssituation noch augenfälliger. Wir alle wissen um die prekäre Lage der Flüchtlinge unserer Zeit. Trotzdem kursieren vor allem auch in den Medien immer wieder Geschichten, die den Missbrauch ins Zentrum der öffentlichen Diskussionen stellen und auf diese Weise von der wahren Tragik des Geschehens ablenken wollen. Dieser Umkehrung der Vorzeichen kontrastiert die Künstlerin in stiller Klarheit mit ihren Darstellungen. In vielen Körpern lassen sich durch die Haltung gleichzeitige Hoffnung und Unsicherheit ausmachen. Der nackte Gestrandete auf seinem winzigen Boot in «Ankunft auf Lampedusa» weiss nicht, was in der neuen Welt auf ihn zukommt. Er verharrt gleichsam in blinder Erwartung einsam auf seinem Floss. Die Menschen brauchen einander und suchen die gegenseitige Nähe.
Johanna Wirth Calvo, Kunsthistorikerin, lic. phil. I 

Weitere Informationen zur Wanderausstellung?

Bitte nehmen Sie mit Eva Ehrismann Kontakt auf.

pfeil www.eva-ehrismann.ch

Bitte rechnen Sie 1 plus 3.